Meinung
Derselbe Bulle, andere Zeiten: Funktioniert "Der letzte Bulle" auch 2025?
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von Steve BuchtaSechs Jahre nach seinem letzten Kinoauftritt meldet sich "Der letzte Bulle" nun dort zurück, wo alles begonnen hatte: montags zur Primetime in SAT.1. Unser Autor versucht zu ergründen, wie gut die Prämisse der Erfolgsserie heute eigentlich noch funktioniert.
"Der letzte Bulle" auf Joyn
Als "Der letzte Bulle" vor gut 15 Jahren wöchentlich im linearen Fernsehen seine Kriminalfälle löste, war die Welt noch eine ganz andere. Das Streamen und vor allem Binge-Watching von Serien waren größtenteils noch Zukunftsmusik (insbesondere in Deutschland). Und wenngleich Internet und Social Media damals durchaus schon eine wichtige Rolle spielten, hatten sie doch nicht denselben Einfluss und bestimmten nicht in gleichem Maße die tagesaktuellen Diskurse wie sie dies heute tun.
Generell waren die gesellschaftlichen und kulturellen Wertvorstellungen rückblickend betrachtet deutlich andere. Barack Obama befand sich in seiner ersten Amtszeit, die Corona-Pandemie war noch in weiter Ferne und die AfD noch nicht gegründet. Der Begriff Wokeness war noch nicht im alltäglichen Sprachgebrauch der breiten Masse angekommen und vor allem wurde er noch als erstrebenswerte Weiterentwicklung verstanden und war nicht als Schimpfwort gemeint.
Viele der gesellschaftspolitischen Umbrüche und Verwerfungen, die wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, schienen während der Laufzeit der ersten fünf Staffeln von "Der letzte Bulle" undenkbar. Einige Entwicklungen mögen bereits ihre Anfänge genommen haben, als die Serie im Jahr 2014 vorerst beendet wurde. Omnipräsente Themen der Gegenwart waren sie keineswegs.
In diesen Zeiten einen Mann zur Hauptfigur zu machen, der sich mit Gleichberechtigung jeder Form und dem sensiblen Umgang mit Sprache ebenso schwer tut wie mit Rauchverboten und gesunder Ernährung, war ein genialer Einfall. Bot doch dieser Ansatz den Zuschauer:innen reichlich Möglichkeiten, die eigene Geisteshaltung immer wieder mit der des Protagonisten abzugleichen. Statt eines moralinsaueren Versuchs, die Leute zum Besseren zu bekehren, zeigte "Der letzte Bulle", dass auch Menschen, die nicht in allen Belangen den gestiegenen Ansprüchen an politisch korrektes und moralisch einwandfreies Verhalten genügen, im Herzen durchaus gute Typen, sympathische Zeitgenossen und lernfähige Individuen sein können.
Die Serie war damit ein Plädoyer für ein gutes Miteinander und ein gesundes Maß an Verständnis für Andersdenkende.
Derselbe Bulle, andere Zeiten: Warum die Grundidee der Serie auch heute noch Relevanz hat
In einer Zeit, in der die Aufklärung der Gesellschaft mindestens ins Stocken geraten ist, wenn nicht gar einer rückläufigen Bewegung unterliegt, sind die Voraussetzungen für ein Reboot derselben Grundidee indes völlig andere.
Wieder war Mick Brisgau jahrelang verschwunden, wieder kehrt er in ein verändertes Umfeld zurück. Erneut hat er die großen und kleinen Ereignisse der Weltgeschichte verpasst, sodass ihm erneut die Gelegenheit genommen wurde, sich simultan zur Gesellschaft mitzuentwickeln, statt in alten Mustern und Rollenbildern steckenzubleiben.
Wer in der Wildnis ums Überleben kämpft, den Gezeiten trotzen und die tägliche Nahrung mit bloßen Händen erlegen muss, hat schließlich Wichtigeres zu tun, als sich über die Geschlechterverteilung in DAX-Vorständen oder die Aushöhlung der Demokratie zu sorgen. Dies hätte das spannende Thema einer späten Weitererzählung sein können - hätte sich die Welt so weiterentwickelt, wie es noch bei der Kinofilm-Neuinterpretation von "Der letzte Bulle" im Jahr 2019 die Hoffnung vieler Menschen gewesen sein dürfte.
Aber ist Weiterentwicklung überhaupt noch nötig, wenn die reaktionäre Hetze ewig gestriger Despoten allerorten Hochkonjunktur hat? Hat sich die Welt nicht vielleicht ein Stück weit zurück - und damit auf den letzten Bullen zu - bewegt, sodass ein Stillstand der Geisteshaltung vom Nachteil zum strategischen Vorteil geworden ist?
Oder anders gefragt: Kann ein Typ der Marke "alter weißer Mann", der zu fehlender Weiterentwicklung verdammt war, überhaupt noch als Fish-out-of-Water-Trope funktionieren, wenn Weiterentwicklung gar nicht mehr en vogue ist?
Man stelle sich vor, das Koma des Mick Brisgau habe bis heute angedauert. Viele seiner diskussionswürdigen Aussagen aus den frühen Staffeln fielen heute wohl einfach in die Kategorie "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!"
Alter weißer Mann als Held: Ist die Prämisse heute zum Scheitern verurteilt?
Dass die sechste Staffel von "Der letzte Bulle" trotz dieser schwierigen Voraussetzungen funktioniert, ist in großen Teilen der Verdienst von Henning Baum, der die Rolle auf Anhieb wieder so trefflich ausfüllt, als habe es die Pausen in der Erzählung nie gegeben. Sofort gibt er wieder das charmante Raubein mit dem Herzen am rechten Fleck, das frühere Fans der Serie so gern gesehen haben.
Mit seiner sympathischen Art lässt er niemals das Missverständnis aufkommen, dieser Mick Brisgau könnte sich wirklich die antiquierten Zustände der alten Bundesrepublik zurückwünschen. Selbst platte Männersprüche werden mit so feiner Selbstironie serviert, dass die Figur nie in Verdacht gerät, sie könne für populistische Parolen aus der rechtskonservativen Ecke empfänglich sein oder sich gar von nationalistischen und demokratiefeindlichen Parteien vor den Karren spannen lassen.
Untermauert wird dies durch gute Drehbuch-Einfälle, mit denen die Autor:innen zeigen, dass die alte und die neue Welt hier nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen. Die Dialoge und Handlungen machen sich über das Unverständnis gegenüber dem technischen und gesellschaftlichen Fortschritt in gleichem Maße lustig, wie über die Verrücktheiten unserer modernen Zeiten.
Wenn sich Mick zunächst von der Beschleunigung eines Elektro-Autos beeindruckt zeigt, nur um wenige Sekunden später über das künstliche Motorengeräusch des Fahrzeugs zu spotten, wird klar: hier gibt es kein Schwarz-Weiß, sondern Grauzonen wie im echten Leben.
Auch dass sich der erste Mordfall, den Mick nach seiner Rückkehr lösen muss, sogleich um einen queeren Straßenmusiker dreht, der von seinem konservativen Vater keine Akzeptanz erfährt, dem aber der letzte Bulle umso warmherziger und ohne jeden Vorbehalt begegnet, zeugt davon, dass die Serie keineswegs das Ziel verfolgt, denen nach dem Mund zu reden, die die Zeit zurückdrehen wollen.
Genau richtig für 2025: "Der letzte Bulle" als Mann der Mitte
Dieser letzte Bulle eignet sich somit auch 2025 nicht als Posterboy für erzkonservative Parteien - eine Gefahr, die dem Vorhaben einer Fortsetzung vorab durchaus innewohnte. Der Produktion ist der Spagat gelungen, Mick Brisgau zu einer sympathischen Identifikationsfigur zu machen, ohne dabei seine Grundzüge als grantelnder Mann von gestern zu verleugnen.
Die Figur des letzten Bullen mag 2025 nicht mehr als reiner Anachronismus funktionieren. Aber womöglich kann die nuancierte Darstellung eines solchen traditionellen Ehrenmanns mit klar erkennbaren, humanistischen Werten als Gegenentwurf zu radikalisierten Konservativen dienen, die die Welt nur noch in Absolutismen von gut und böse sehen.
Im Jahr 2025 wird die Neuauflage von "Der letzte Bulle" so zur idealen Serie, um zwischen der gefährlichen Nostalgie der "früher war alles besser"-Fraktion und dem Übereifer mancher Streiter:innen für Political Correctness zu vermitteln.
Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.
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