"Perspektiven des Todes"

Hass, Hetze, Hinrichtung: Der Mord an Walter Lübcke

Aktualisiert:

von Claudia Frickel

In der True-Crime-Folge kommen enge Vertraute wie Dirk Metz (l.) zum Mord an Walter Lübcke (r.) zu Wort.

Bild: Kabel Eins


Ein rechtsextremer Gewalttäter erschießt 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke. Der Killer war bereits zuvor polizeibekannt. Handelte er allein, haben die Behörden versagt? Bei "Perspektiven des Todes" kommt auch der türkischstämmige Anwalt des Mörders zu Wort.

Eine einzelne Hautschuppe überführt den Täter

Am 1. Juni 2019 sitzt Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha. Es ist 23 Uhr, und der 65-Jährige ist allein. Der CDU-Politiker schaut auf sein iPad und raucht eine Zigarette.

Doch ein furchtbares Verbrechen beendet die Ruhe schlagartig. Ein Mann schleicht sich heran. Stephan Ernst ist aus Kassel in das 25 Kilometer entfernte Dorf gefahren. Er hat einen Revolver dabei, den er sich illegal besorgt hat.

Es kommt zu einem kurzen Wortwechsel zwischen den Männern. Dann zieht Ernst die Waffe und schießt Walter Lübcke aus nächster Nähe in den Kopf. Um 0:30 Uhr findet der Sohn seinen Vater leblos auf der Terrasse und ruft den Rettungswagen. Das Kreiskrankenhaus stellt um kurz nach halb drei Uhr nachts den Tod Lübckes fest.

Die Polizei tappt zunächst im Dunkeln: Der Revolver ist verschwunden, und es gibt keine Zeug:innen. Neben Lübckes Grundstück fand zur Tatzeit eine Kirmes statt. Nach einem Aufruf bei "Aktenzeichen XY ... ungelöst" gehen zahlreiche Hinweise ein, aber keiner führt zum Täter. Eine Woche nach dem Mord nehmen die Beamt:innen einen Sanitäter fest. Er hatte vor Ort Erste Hilfe geleistet und dabei Blutspuren weggewischt. Offenbar wollte er der Familie den Anblick ersparen. Am nächsten Tag kommt er wieder frei.

Eine einzelne Hautschuppe auf dem Hemd des Toten wird dem Mörder schließlich zum Verhängnis. Das Krankenhaus hatte das Kleidungsstück zunächst weggeworfen. Forensische Expert:innen stellen fest, dass die DNA der Schuppe mit den gespeicherten Daten eines vorbestraften Rechtsextremen übereinstimmt.

Am 15. Juni 2019 nimmt die Polizei Stephan Ernst in seinem Wohnhaus in Kassel fest. Zehn Tage später gesteht der 45-Jährige die Tat. Später widerruft er das Geständnis und beschuldigt seinen Freund Markus H. - um es anschließend erneut abzulegen.

Gegen Ernst spricht, dass sich seine DNA nicht nur am Hemd, sondern auch an der Tatwaffe befindet. Diese versteckt er in einem Erddepot, zu dem er die Polizei selbst führt. Zuvor hatte der Rechtsradikale außerdem mehrfach Hasskommentare über den Politiker veröffentlicht.

Der Mann ist seit den 1990er-Jahren in der rechtsextremen Szene aktiv und wegen Gewalttaten mehrfach vorbestraft. Unter anderem verletzte er einen Iman lebensgefährlich mit einem Messer, zündete das Haus eines türkischen Mitschülers an und griff eine Asylbewerberunterkunft mit einer selbstgebauten Rohrbombe an.

Wieso der Täter den Behörden entglitten war und wie der Mord an Walter Lübcke Deutschland erschütterte, zeigt die neue Folge der True-Crime-Reihe "Perspektiven des Todes", die du oben streamen kannst. Auch sein Anwalt kommt zu Wort - der die rechtsextreme Gesinnung des Täters zutiefst verabscheut.

Der CDU-Politiker war zehn Jahre lang als nordhessischer Regierungspräsident tätig.

Bild: picture alliance / dpa


Wer war Walter Lübcke - und warum hassten ihn Rechtsextreme?

Walter Lübcke kommt im August 1953 im hessischen Bad Wildungen zur Welt. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler und Landwirt tritt 1986 in die CDU ein. Seit 2009 wirkt er als Regierungspräsident von Nordhessen. Wenige Wochen vor seiner Ermordung feiert er sein zehnjähriges Dienstjubiläum. Im Lauf des Jahres 2019 will er eigentlich in den Ruhestand gehen - doch dazu kommt es nicht mehr.

2015 wird Lübcke bundesweit bekannt. In dem Jahr kommen Hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland, vor allem aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel plädiert dafür, die Grenzen offen zu halten. Sie sagt den berühmten Satz: "Wir schaffen das."

Das führt zu großer Solidarität, aber auch zu heftiger Kritik von rechts. Walter Lübcke spricht sich wiederholt für Menschlichkeit, demokratische Werte und die Aufnahme von Flüchtlingen aus. Bei einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 im hessischen Lohfelden verteidigt er die Politik der Bundesregierung und widerspricht rassistischer Hetze.

Dann sagt er zwei Sätze, die später massiv in rechtsextremen Kreisen verbreitet werden: "Es lohnt sich, in diesem Land zu leben. Und wer das nicht sieht, kann dieses Land jederzeit verlassen." Der Mann, der Lübckes Aussage filmt und verkürzt ins Netz stellt, ist Markus H., der Freund von Stephan Ernst. Der ist ebenfalls bei der Veranstaltung dabei.

Rechtsextreme nehmen Lübcke danach ins Visier. Der Politiker muss jahrelange Anfeindungen und Morddrohungen über sich ergehen lassen. Auch Ernst postet Hasskommentare, zum Beispiel "Es wird Tote geben" und "Wann schlagen wir zurück?" Laut seines Geständnisses denkt er jahrelang darüber nach, Lübcke zu ermorden, und fährt sogar mehrmals zu dessen Haus.

Das Urteil und welche Ungereimtheiten es bis heute gibt

Stephan Ernst wird im Januar 2021 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Oberlandesgericht Frankfurt stellt eine besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist praktisch ausgeschlossen, dass der Verurteilte nach 15 Jahren aus der Haft entlassen wird. Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil ein Jahr später.

Aber bis heute gibt es einige Ungereimtheiten. Ernst behauptet später, dass er nicht allein gehandelt habe. Markus H. sei der Schütze gewesen oder habe ihn angestiftet. Der wird zwar angeklagt, aber freigesprochen, weil es keine Beweise für seine Beteiligung am Mord gibt.

War H. wirklich nicht an dem Mord beteiligt? Und warum hat Ernst gestanden, dann widerrufen, um erneut zu gestehen - aber mit einer etwas anderen Version? Zugleich gibt es einige offene Fragen, die die Behörden betreffen. 2009 bezeichnet der damalige Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz den Mörder als "brandgefährlich". Aber 2015 wird seine Akte gesperrt. Sicherheitsbehörden können darum bis zum Mord an Lübcke nicht auf Daten des Rechtsextremisten zugreifen.

Während der Verhandlung gegen Ernst wundern sich viele, warum einer seiner Strafverteidiger türkische Wurzeln hat. Was den Kölner Rechtsanwalt Mustafa Kaplan bewogen hat, ausgerechnet einen rechtsextremen Täter zu verteidigen, erzählt er in der aktuellen Folge von "Perspektiven des Todes".

"Perspektiven des Todes" auf Kabel Eins

Die True-Crime-Serie "Perspektiven des Todes" betrachtet schockierende Schwerverbrechen aus ungewohnten Blickwinkeln. Jede Folge will eine individuelle Sichtweise auf den Fall eröffnen, sei es durch die Augen von Ermittler:innen, des Opfers oder sogar der Täter:innen.

Startschuss ist am Freitag, 17. Oktober, um 20:15 Uhr auf Kabel Eins. Du kannst die Episoden auch alle auf Joyn streamen.


Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

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