Er schrieb Fernsehgeschichte

"Tatort": Diesem Mann verdanken wir die ARD-Kultserie

Aktualisiert:

von Johanna Grauthoff

Er gilt als Erfinder des "Tatorts": Gunther Witte.

Bild: ARD/Thorsten Jander


Heute Abend kehrt der "Tatort" aus der Sommerpause zurück. Seit Jahrzehnten gehört die Kult-Reihe fest ins Sonntagabend-Programm. Doch kaum jemand weiß, wem wir das zu verdanken haben. Über einen Spaziergang, der Fernsehgeschichte schrieb.


Ein Spaziergang mit Folgen: Wie der "Tatort" entstand

Es war ein unscheinbarer Spaziergang im Kölner Stadtwald, der zu einem Wendepunkt für das deutsche Fernsehen werden sollte. Gunther Witte, der zu der Zeit als frischer und unerfahrener Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) war, wurde 1969 vom damaligen Fernsehspielchef Günter Rohrbach gebeten, ein neues Krimiformat für die ARD zu entwickeln. Der Anlass dazu war der große Erfolg der neuen ZDF-Serie "Der Kommissar", die den Freitagabend zum Krimiabend gemacht hat. Da wollte die ARD mit etwas Eigenem nachziehen.

Die Idee: Mehrere Kommissare & echte Schauplätze

Das Spannende dabei ist, dass Gunther Witte gar kein Krimi-Kenner war. Doch die Erinnerung an RIAS-Hörspiele aus seiner Schulzeit in Ost-Berlin brachte ihn auf eine bahnbrechende Idee:

Und da gab es eine Serie 'Es geschah in Berlin'. Die folgte echten Fällen, war aber auch speziell ausgelegt auf den Ort Berlin. Und da begann es bei mir ein bisschen zu rasseln.

Gunther Witte

Witte griff genau diesen Gedanken auf und entwickelte ein Konzept mit klaren Regeln: Es soll immer einen Kommissar geben, die Kriminalfälle zeigen die Lebenswirklichkeit der Zuschauer:innen und einer der wichtigsten Punkte sollte die Regionalität werden.

Damit war die Idee "Tatort" geboren. Das Konzept einer Krimireihe mit wechselnden Ermittler-Teams in verschiedenen Städten war damals einzigartig. Doch zunächst stieß es auf Skepsis in der ARD, denn eine Krimireihe mit mehreren Hauptfiguren gab es bis dato nirgendwo auf der Welt. Erst im zweiten Anlauf stimmten die ARD-Intendant:innen zu.

"Taxi nach Leipzig": Der erste Fall einer Erfolgsserie

Am 29. November 1970 war es dann so weit: Die ARD strahlte den ersten "Tatort" aus. In "Taxi nach Leipzig" ermittelt Walter Richter als Kommissar Trimmel und setzte damit den Startschuss einer bis heute ungebrochenen Erfolgsstory. Mit mehr als 1.230 Folgen ist der "Tatort" längst zur Kultmarke geworden. Die Vielfalt der Kommissare, Städte und Themen machen die Krimi-Reihe bis heute einzigartig.

Die Aufteilung auf verschiedene Sender der ARD, sowie auf den ORF und das Schweizer Fernsehen, hatte dabei nicht nur kreative Vorzüge, sondern ist auch wirtschaftlich vorteilhaft. Der WDR musste die Kosten nicht allein tragen und die Verantwortung der Produktion wurde dadurch verteilt. Bis heute kann mit diesem Modell jeder Sender seine eigene Handschrift einbringen.

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Wer war Gunther Witte?

Geboren wurde Gunther Witte 1935 in der lettischen Hauptstadt Riga. Er wuchs in Berlin auf. Dort studierte er später Germanistik und Theaterwissenschaften und arbeitete zunächst am Theater in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). 1961 ließ er die DDR hinter sich und war zunächst in der Bundesrepublik als freier Lektor bei Bavaria tätig. 1963 fing er beim WDR als Redakteur in der Fernsehspiel-Abteilung an.

Mit der Entwicklung des "Tatort" wurde Witte zur Schlüsselfigur der deutschen Fernsehlandschaft. Aber auch er hatte anfangs Zweifel, wie sein Konzept ankommen würde:

Meine erste Sorge war, dass jemand Einwände wegen der vielen wechselnden Kommissare haben würde.

Gunther Witte im SZ-Interview

Mehr als nur "Tatort": Witte prägte das deutsche Fernsehen

Über viele Jahre hinweg blieb Gunther Witte dem WDR treu. Von 1979 bis 1998 leitete er die Abteilung Fernsehspiel und war neben "Tatort" an weiteren Meilensteinen beteiligt. Darunter auch 1985 bei der Einführung des ARD-Dauerbrenners  "Lindenstraße". Auch hier setzte er auf realitätsnahe Geschichten und gesellschaftliche Relevanz.

Nach seinem Abschied beim Westdeutschen Rundfunk in Köln zog er zurück nach Berlin, wo er sich wieder seiner Leidenschaft, dem Theater, widmete.

Ein Erbe, das bleibt

Gunther Witte starb am 16. August 2018 im Alter von 82 Jahren. Sein Name ist heute kaum bekannt, sein Werk ist aber fest im kulturellen Gedächtnis Deutschlands verankert. Die Krimireihe, die aus einer spontanen Idee entstand, ist längst zum Fernsehritual am Sonntagabend geworden.

Wenn ich mir vorstelle, jemand hätte mir das damals prophezeit, hätte ich gesagt: 'Du spinnst wohl!'

Gunther Witte

Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

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