Exklusiv-Interview mit "Sisters in Crime"

"Monster"-Staffel 2: Wie es nach dem Ed-Gein-Fall weitergeht

Aktualisiert:

von Nicola Schiller, Karolin Kandler, Jule Gölsdorf

Die Krimi-Podcasterinnen Jule Gölsdorf (M.) und Karolin Kandler (r.) über die vierte "Monster"-Staffel. Die widmet sich einem Kriminalfall aus dem 19. Jahrhundert. Ist Lizzie Borden (l.) eine Mörderin?

Bild: IMAGO / United Archives International; picture alliance / Everett Collection | -; StudioGraphic_stock.adobe.com; Jörg Strunz


Nach dem Erfolg von "Monster: Die Geschichte von Ed Gein" ist jetzt bekannt, um welchen True-Crime-Fall es in der nächsten Staffel gehen wird. Mit einem besonderen Twist, denn auf Jeffrey Dahmer, die Menendez-Brüder und Ed Gein folgt nun erstmals eine weibliche Hauptrolle. Wir haben dazu mit den Journalistinnen Jule Gölsdorf und Karolin Kandler von "Sisters in Crime" gesprochen.

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Der Mord an Abby und Andrew Borden: Ein ungelöstes Rätsel aus dem 19. Jahrhundert

Am 4. August 1892 erschüttert ein grausamer Doppelmord die kleine Stadt Fall River, Massachusetts. Andrew Borden, ein wohlhabender Geschäftsmann und seine Frau, Abby Borden, werden tot in ihrem Haus gefunden - die Schädel auf brutalste Weise zertrümmert. Alles deutet auf eine Axt oder ein Beil als Tatwaffe hin.

Die Morde sind so grausam, dass Medien sogar spekulieren, ob der berühmt-berüchtigte Serienmörder Jack the Ripper nicht in die USA gekommen sein könnte. Andrew Borden hatte 10 massive Kopfwunden, sein Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit eingeschlagen, am Hinterkopf von Abby Borden werden sogar 19 Verletzungen festgestellt - man spricht hier auch von Overkill, einer übermäßigen Tötung. Für Ermittler:innen ein eindeutiges Zeichen für einen Mord aus persönlichen Beweggründen. Kannten sich Täter und Opfer?

Zum Zeitpunkt der Morde waren nur zwei weitere Personen anwesend. Das Alibi der Haushälterin Bridget kann schnell bestätigt werden, der Verdacht der Polizei fällt also auf Lizzie Borden (32), die jüngste Tochter.

Wer war Lizzie Borden?

Lizzie Borden wird am 19. Juli 1860 in Fall River geboren. Sie ist die zweite Tochter von Andrew Jackson Borden und seiner ersten Frau, Sarah Anthony Borden. Als Lizzie gerade mal zwei Jahre alt ist, stirbt ihre Mutter. Seitdem nimmt Lizzies ältere Schwester Emma (41) eine Art Mutterrolle ein.

Zu Andrews zweiter Frau, Abby, sollen die Mädchen nie ein besonders enges Verhältnis gehabt haben. Ganz klischeehaft wird sie gerne als böse Stiefmutter dargestellt, Beweise gibt es dafür allerdings keine.

Trotz seines Vermögens gilt Andrew als geizig. Die Familie Borden lebt unter ihren Verhältnissen. In dem Haus in der 230 Second Street gibt es keine Rohrleitungen oder Sanitäranlagen - obwohl das unter gut situierten Familien im 19. Jahrhundert längst Standard ist. Mit diesen Lebensumständen sollen vor allem Emma und Lizzie unzufrieden gewesen sein, sie wollen mehr aus ihrem Leben machen. Immer wieder soll es Streit um Geld gegeben haben. Aber reicht das schon als Mordmotiv?


Der Fall Lizzie Borden: Ein "Jahrhundert-Prozess"

Der grausame Mord entwickelt sich schnell zu einem echten Medienspektakel, das wohl auch in der heutigen Zeit noch so stattfinden könnte. Landesweit berichten Zeitungen ausführlich über das Verbrechen, Schaulustige strömen nach Fall River, um den Prozess live zu verfolgen. Lizzie Borden wird zum "Jahrhundert-Prozess".

Die Indizien häufen sich: Nur ein Tag vor den Morden will eine Apothekerin Lizzie erkannt haben. Sie habe versucht, Blausäure zu kaufen - ein extrem wirksames Gift. Die Begründung: Sie wolle einen Robbenfell-Mantel damit behandeln. Der Apothekerin kommt das suspekt vor, sie schickt die Kundin weg. Zwar hat sich Lizzie nie zu dem angeblichen Kaufversuch geäußert, allerdings besitzt sie ein Cape aus Robbenfell.

Einen Tag nach der Beerdigung soll Lizzie zudem ein Kleid verbrannt haben - angeblich wegen Lackflecken auf dem Stoff. Außerdem verstrickt sie sich in widersprüchliche Aussagen, gibt unterschiedliche Alibis an, von denen keins bestätigt wird. Trotzdem wird sie nach nur drei Wochen freigesprochen und im Gerichtssaal und vor dem Gebäude mit Jubel empfangen.

Der Hype hält bis heute an. Der Jahrhundert-Prozess um Lizzie Borden geht in die Kriminalgeschichte ein und liefert Inspiration für zahlreiche Bücher, Filme, Theaterstücke und sogar Kinder-Reime. Ein bekannter Seilsprung-Reim aus den USA lautet:

Lizzie Borden took an axe
And gave her mother forty whacks.
When she saw what she had done,
She gave her father forty-one!

Amerikanischer Kinderreim

Frei übersetzt also: "Lizzie Borden nahm eine Axt, und gab ihrer Mutter vierzig Hiebe. Als sie sah, was sie getan hatte, gab sie ihrem Vater einundvierzig!" Über den Ursprung dieses makabren Kinderreims ist nicht viel bekannt.


Nach mehr als 100 Jahren: Der Hype um Lizzie Borden lebt weiter

Bis heute wird der Fall ausgeschlachtet. Das Haus der Bordens in Fall River wurde aufwändig restauriert und ganz im Stil der 1890er-Jahre eingerichtet. In "America's Most Haunted House" kann man heute frühstücken, das dazugehörige Museum besuchen, auf geführte Geisterjagd gehen und sogar übernachten.

"Sisters in Crime": Unsere Expertinnen ordnen ein

Serienmörderinnen, Betrügerinnen, brutale Feministinnen, kaltblütige Sexualstraftäterinnen: In dem True-Crime-Podcast "Sisters in Crime" sprechen die Journalistinnen Karolin Kandler und Jule Gölsdorf über mörderische Frauen und beleuchten jede Woche einen neuen Fall.

Wir haben sie in einem Exklusiv-Interview nach ihrer Meinung zu Lizzie Borden und ihrer Geschichte befragt.

Freispruch trotz eindeutiger Indizien: Was macht den Fall von Lizzie Borden so spannend?

Jule: Der Fall ist vor allem deshalb besonders, weil die mutmaßliche Täterin freigesprochen wurde - obwohl die Beweislage relativ stark war: Sie hatte ein Motiv, war zur Tatzeit im Haus und hat sich in widersprüchliche Aussagen verstrickt. Auf der anderen Seite gab es kein direktes Beweisstück, also beispielsweise keine blutige Kleidung. Gleichzeitig galt es zur damaligen Zeit als völlig unwahrscheinlich, dass eine fromme Frau aus der Oberschicht zu so einer Tat fähig sein sollte. Zu dem Freispruch kam es also vermutlich weniger durch Entlastungsbeweise, sondern durch fehlende Forensik und geschlechterspezifische Vorurteile.

"Monster": Nach drei Staffeln männlicher Mörder endlich eine weibliche Hauptrolle. Wichtig und richtig?

Karolin: Wir finden das gut, das ist ja genau unser Thema in unserem Podcast. Es ist wichtig, gesellschaftlich nicht die Augen davor zu verschließen, dass auch Frauen zu Täterinnen werden können. Diese damalige Sicht auf Frauen, die als liebend, sanft und unschuldig gelten, existiert ja teilweise auch heute noch. Es gibt Statistiken, die besagen, dass Frauen teilweise geringere Straflängen erhalten. Das geht natürlich nicht! Es gehört eben auch zur Emanzipation dazu, anzuerkennen, dass Frauen zu grausamen Taten fähig sind.


Jeffrey Dahmer, Menendez-Brüder, Ed Gein: Wie reiht sich Lizzie Borden in diese Gruppe ein?

Jule: Interessant ist ja, dass alle ausgewählten Täter eine konflikthafte Beziehung zu den Eltern hatten. Jeffrey Dahmers Eltern hatten häufig heftige Auseinandersetzungen, der Junge zog sich ab seinem 10. Lebensjahr immer mehr zurück, wirkte apathisch auf sein Umfeld. Zudem musste er seine Homosexualität vor dem Vater verbergen. Die Menendez-Brüder behaupten, sie hätten ihre Eltern nach jahrelangem sexuellen Missbrauch getötet. Ed Geins Vater war Alkoholiker und schlug die Söhne, seine Mutter war extrem dominant, fanatisch religiös und hasste Sexualität. Lizzie Bordens Vater verbat ihr einen normalen Umgang mit der Gesellschaft. Weil sie sich unfair behandelt fühlte, entwickelte sie einen großen Hass auf den Vater.

Karolin: Diese zweifelsohne schlimmen Erlebnisse dürfen keine Entschuldigung für einen oder mehrere Morde sein! Aber sie können ein Stück weit erklären, dass es Auslöser für grausame Verbrechen gibt, oder zumindest Hinweise darauf. Und das ist auch etwas, das wir durch unseren Podcast gelernt haben: Eigentlich gibt es keine brutalen Täter, die nicht mit Traumata in der Kindheit zu kämpfen haben: Missbrauch, Vernachlässigung, Gewalt. Und das muss uns doch eines lehren: Wir müssen in dieser Gesellschaft mehr auf die Kinder aufpassen!

Wenn Mörder gehypt werden: Ist es gut, den Tätern durch Serien wie "Monster" eine Plattform zu geben?

Schon nach der ersten "Monster"-Staffel hagelte es jede Menge Kritik für Regisseur Ryan Murphy und Hauptdarsteller Evan Peters. "Dahmer" beschäftigt sich mit den grausamen Taten des Serienmörders und Kannibalen. Seine Verbrechen in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren liegen noch nicht so lange zurück, viele Nachfahren seiner Opfer leben noch. Angeblich soll die Serie ohne ihre Zustimmung gedreht worden sein, zweifellos eine belastende Erfahrung, den grausamen Mord eines Familienmitgliedes verfilmt zu sehen. Auch die Heroisierung Jeffey Dahmers wird kritisiert.

Ein ähnliches Bild bringt auch Staffel 2, die den Doppelmord von Erik und Lyle Menendez an ihren Eltern behandelt. Die Brüder werden extrem sympathisch dargestellt, als Zuschauer:in neigt man schnell dazu, Mitleid mit ihnen zu empfinden. Gleiches Spiel bei Ed Gein in Staffel 3. Mitleid und Sympathie mit einem Mörder? Ist das moralisch überhaupt vertretbar?

Jule: Es ist immer gut, die Kritik an True Crime und Krimis ernst zu nehmen: Reale oder fiktive Morde dienen ein Stück weit der Unterhaltung. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Menschen hatten schon immer eine Vorliebe für Gruselgeschichten - vor allem, während sie sich selbst in einer sicheren Umgebung befinden. Psychologisch gesehen nennt man das "Angstlust". Aber natürlich sollte man Mörder nicht heroisieren! Man sollte ihre Geschichten nutzen, um zu verstehen, warum schreckliche Morde geschehen und daraus lernen, um künftige Taten zu verhindern. Und gerade Frauen schauen True Crime, um sich sicherer zu fühlen. Daher können solche Formate ja auch aufmerksam machen und sensibilisieren.

"Die Geschichte von Lizzie Borden": Das ist bereits über die neue "Monster"-Staffel bekannt

Bis zur neuen Staffel im Oktober 2026 müssen sich Fans noch etwas gedulden. Aber es gibt auch gute Nachrichten, denn wie jetzt bekannt wurde, wird es ein Wiedersehen mit Ed-Gein-Darsteller Charlie Hunnam geben. Er soll Lizzies Vater, Andrew Borden, spielen und wechselt damit vom Täter in die Opfer-Rolle. Bis es soweit ist, gibt es aber jede Menge andere spannende True-Crime-Formate auf Joyn.

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Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf Joyn.de ('Behind the Screens' Deutschland) veröffentlicht.

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